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Warum ich meine Gehaltserhöhung ablehnte

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Es waren arbeitsreiche Wochen, so wie meistens zu Jahresende. Veranstaltungen wurden für das nächste Jahr herausgesucht, Kampagnen terminiert, der Marketingplan wurde gefixt, Verhandlungen mit den Partnern geführt und auch das erste Event des Jahres wurde vorbereitet. Ich war mit allem fertig und froh darüber, bald meinen Urlaub anzutreten, als mein Chef auf mich zu kam und mir eine Gehaltserhöhung anbot.

Wow, das ist toll – ich fühlte mich bestätigt, anerkannt und malte mir schon aus, was ich alles mit dem Geld machen wollen würde. Vielleicht ein neues Outfit, oder ich spare es für ein schickeres Auto, oder sollte ich es in neue Möbel für unser Haus stecken? Irgendwie hätte ich das schon los bekommen. Ganz sicher. Und diese Dinge wären schön und ich würde mich daran erfreuen. Eine Weile wenigstens. Oder zumindest solange, bis wieder neue Dinge her mussten. Aber ich entschied anders.

Schneller, weiter, höher – ohne Ende?

Wenn wir in immer kürzerer Zeit immer mehr erreichen wollen, rauben wir uns Zeit und Zufriedenheit. Eigentlich ist das völlig bekloppt. Das irre in unserer Gesellschaft ist, dass wir davon ausgehen, nur wettbewerbsfähig und zufriedener zu sein, wenn wir immer noch eine Schippe draufladen: Noch mehr Wissen in weniger Zeit aneignen (Abitur G8 vs G9), noch schnellere Karrieren zu machen, noch mehr Sprachen zu sprechen, in ständig noch aufregenderen Ländern zu leben, noch mehr Geld zu haben, noch tollere Autos zu fahren, in noch nobleren Häusern zu wohnen, in noch atemberaubenden Kleider zu stecken – eben ein noch höherer Standard… Wenn diese Punkte der Antrieb für die Arbeit sind… Eigentlich dumm, wer nicht erkennt, dass dieses ewige schneller, weiter, höher, niemals ein Ende haben wird, oder? Ein Hamsterrad. Negativer Stress. Bei manchen bis zum Burnout. Bis zu dem Punkt, an dem die Blase platzt und alles in sich zusammenbricht.

Das Bedürfnis nach Erhaltung des Lebensstandards

Eine sehr gute Freundin sagt mir immer: man gewöhnt sich schnell an einen Lebensstandard. Und leider hat sie damit recht. Doch ist es nicht nur das, da ist auch die Angst diesen Standard irgendwann zu verlieren. Wie wäre es für uns, wenn wir plötzlich nicht mehr das Haus, sondern eine kleinere Wohnung hätten, nicht mehr den schicken Sportwagen fahren könnten, sondern nur noch einen kleinen Fiat und nicht mehr die Fernreise machen können, sondern nur noch regionale Kurzurlaube? Die Angst zu versagen, das bereits Geschaffte zu verlieren und nicht mehr so gut zu sein wie einst, schwingt in diesen Gedanken mit. Dabei ist es egal, ob das, was wir erreicht haben nicht doch auch gut ist und Spaß machen kann. Nicht mehr das zu haben, was man einst hatte, kann sich wie eine Bestrafung anfühlen, die man tunlichst vermeiden mag.

Der Kreislauf

So ist es ein ewiger Kreislauf, mal getrieben von der Angst den erreichten Standard zu verlieren und getrieben durch den Ehrgeiz, immer mehr haben zu wollen. Es ist ein Angst-Ehrgeiz-Kreislauf, der uns in das Hamsterrad treibt und uns nicht so schnell erlaubt auszubrechen. Doch wo liegt das Problem?

Mein Tag könnte 48 Stunden haben

Alles lässt sich steigern, nur dieser verflixte Tag hat ja doch immer nur 24 Stunden. Egal, wie sehr wir uns dagegen wehren und es nicht akzeptieren. Es sind und bleiben 24 Stunden. In denen arbeiten wir, essen, schlafen, sind mit unseren Familien und Freunden zusammen, entspannen uns und gehen unseren Hobbies nach (wenn wir noch können).

Wenn Zeit der Schlüssel zur Zufriedenheit ist, warum investieren wir nicht mehr darin?

Doch, wir sind getrieben davon weiter zu machen. Wir haben es so gelernt, es wird von uns erwartet. Es ist gesellschaftsfähig, da beruflicher Erfolg mit Anerkennung honoriert wird. Wer seine Zeit mit was anderem als mit der Planung seiner Karriere ausfüllt muss damit rechnen, schief angeschaut zu werden. Die Frage ist nur: Was macht uns selbst glücklicher?

Für die Karriere reichen auch 4 Tage

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich Anfang letzten Jahres eine ernste Diagnose bekam. Diese Diagnose drängte meine Arbeit komplett in den Hintergrund, denn sie zwang mich darüber nachzudenken, ob und wie mein Leben weitergehen kann und wird. Dieses Auf und Ab der Gefühle beantwortete mir meine dringlichsten Fragen mit:

Gib Deiner Zeit mehr Leben

Wie manche von Euch wissen, hatte ich letztes Jahr das unglaubliche Glück, für drei Monate nach Brasilien zu gehen und habe mir mit der Rundreise einige Lebensträume erfüllt. Dieser Wunsch war so stark, dass ich neben den Reisekosten auch Gehaltseinbußen in Kauf nahm.

Wer sagt denn, dass ein Wochenende nur zwei Tage haben darf?

Ich kann mich nicht mehr erinnern, warum mir diese Frage in den Sinn kam. Womöglich irgendwann, als mein Wochenende mir mal wieder viel zu kurz vorkam. Meine Samstage sind immer sehr gefüllt mit vielen tollen Sachen, die mich sogar den Wecker auf sieben Uhr stellen lassen. Schlafen kann ich später noch, ich will raus und was erleben! Auch möchte ich neue Dinge lernen, lesen, schreiben und eigene Projekte umsetzen. Unter der Woche geht das alles nur bedingt, trotz dass ich viele Freiheiten auf der Arbeit genieße. Und genau das ist der Punkt.

Wer fair ist, genießt Vertrauen

Als ich meinem Chef sagte, dass ich die Gehaltserhöhung ablehne und ich mir stattdessen eine 4-tage Woche wünsche, erntete ich Fragezeichen. Zurecht! Denn schon lange können wir ortsunabhängig arbeiten, auch während einer Zugfahrt zu einem Barcamp oder bei der Mutter in Frankfurt, wenn sie aufgrund eines Bruches im Alltag Hilfe braucht. Jene Freiheiten sind mir so wertvoll. Welche Unternehmen bieten das schon? Und genau weil mir so viel Vertrauen geschenkt wird, werde ich einen Teufel tun, dieses auszunutzen. Natürlich könnte ich Zeit in meine Projekte stecken, ohne “erwischt” zu werden. Natürlich könnte ich vorgaukeln von Zuhause aus zu arbeiten, um dann reiten oder fliegen zu gehen. Aber das will ich nicht, da es länger dauert sich das Vertrauen zu erarbeiten als es zu verlieren.

Könntest auch Du eine 4-tage Woche machen?

Zugegeben, eine 4-tage Woche kann oder möchte sich nicht jeder leisten. Auch bei mir gab es einige Fragen, die ich mir beantworten musste und die nur jeder für sich selbst beantworten kann. Aber sich diese Fragen überhaupt mal zu stellen, kann schon ein Schritt sein, um erste Lösungen zu finden:

  1. Warum ist Dir der gewonnene Tag so wichtig?
  2. Wie viel Geld brauchst Du (wirklich!) zum Leben?
  3. Wo könntest Du sparen?
  4. Wie könntest Du mit dem (möglicherweise) angepassten Urlaubstagen zurecht kommen? (Anpassung der Urlaubstage auf 4/5 )
  5. Wie kannst Du Deinen eigenen Qualitätsanspruch auf der Arbeit trotzdem erhalten, sodass sich kein Frust / negativer Stress einstellt?
  6. Wie wichtig sind Dir staatliche Renteneinzahlung und Versicherungszahlungen?

Meine persönlichen Antworten waren:

  1. Er gibt mir mehr Freiheiten und damit mehr Lebensqualität
  2. Weniger als ich verdiene, ich kann monatlich immer etwas zurücklegen und ich akzeptiere, dass es in Zukunft länger dauern wird, bis ich mir was leisten kann.
  3. Derzeit lebe ich noch in Frankreich und spare dadurch Steuern. In ein paar Monaten ziehen wir nach Deutschland in ein eigenes Haus und da fällt die Miete weg.
  4. Wegen des festen freien Wochentags benötige ich für eine Woche Urlaub natürlich auch nur vier statt fünf Tage . Dafür spare ich mir Urlaubstage für zu erledigenden Dinge, für diverse Termine und eigene Projekte.
  5. Noch bessere und weitsichtigere Planung in allen Dingen. Bessere Organisation im täglichen Arbeitsablauf. Ablenkungen vermeiden.
  6. Seit einigen Jahren sichere ich mir meine Rente zusätzlich privat ab. Weitere Versicherungen werden den Leistungen entsprechend von mir oder automatisch angepasst.

Fazit

In gewissem Maße erkaufe ich mir Freiheit und damit ein Stück Lebensqualität. Nicht für Kinder und eine Familie, sondern ganz allein für mich. Wichtig ist mir dabei immer ein faires Miteinander mit meinem Arbeitgeber denn ohne das, kann Vertrauen nicht entstehen, wachsen und erhalten bleiben. Mir macht meine Arbeit sehr viel Spaß, das Team ist toll und ich stehe jeden Tag zu der Entscheidung, mich für unsere Ziele einzubringen. Ich bin in allem sehr selbstbestimmt, kann mich entwickeln, sodass alles Sinn ergibt. Von heute an gibt es einen Wochentag mehr in meinem Leben, welcher unabhängig von Dritten gestaltet werden kann. Ich bin gespannt, was passieren wird. Wohin die Reise geht, weiß ich selbst noch nicht. Aber ich freue mich unglaublich auf das, was da kommen wird :)


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